Vom 1. – 7. Mai 2022 reisten Artischocken mit einer Gruppe in den Süden Frankreichs. Höhepunkte dieser Reise waren historische und neu eröffnete Museen und Kulturzentren. Unser Mitglied Ursula Ochsé-Bergmann hat ihre Eindrücke festgehalten:
Als ich von der angebotenen Kulturreise nach Arles und Marseille las, war für mich sofort klar: ja diese Reise möchte ich mitmachen, steht doch Marseille schon sehr lange auf meiner Liste. Und da ich die Veranstalterin Anna Maeder von Untra Kulturreisen bereits in Bilbao erlebt habe, wussten wir, wie viel sie uns nahe bringen kann, was nicht in den Führern steht. Und auch auf dieser Reise profitierten wir von ihrem enormen Wissen und ihren Erfahrungen. Mit 15 TeilnehmerInnen waren wir eine angenehm kleinere Gruppe. Schade, dass wir von Artischock nur zu dritt vertreten waren.
Mit meinem Bericht beschränke ich mich auf die Highlights.
Als Einstieg in die Reise konnten wir den Papstpalast in Avignon besichtigen, dann Fahrt zu unserer Unterkunft in Arles.
Der LUMA-Kulturkomplex, neues Wahrzeichen von Arles. Maja Hoffmann hat das aufgegebene Industrieareal zu einem interdisziplinären Kulturzentrum entwickelt. Es sollte zu einer Ideenschmiede für Kultur und Ökologie werden, und sie hat Frank O. Gehry mit dem Turmbau beauftragt. Nach seinen Vorstellungen sollen sich im Turm Landschaft und Himmel widerspiegeln. Der gläserne Sockel erinnert an das römische Amphitheater. Die 11’000 Edelstahlrauten der Fassade sollen das Licht des Südens spiegeln. Mich haben im Innern die experimentellen Baumaterialen überrascht. Wandplatten aus Salz von der nahen Camargue oder Wände aus Sonnenblumenkernen und dann die Aussicht von den Balkonen auf der obersten Terrasse!
Der Turm ist auch heute noch umstritten - entweder er gefällt oder nicht. Befürchtet wurden u.a. die Auswirkungen auf Arles. Auch heute noch ist die Bevölkerung gespalten. Inzwischen hätten sich jedoch sehr viele ArlesianerInnen mit dem Werk angefreundet (hat uns ein Einheimischer bestätigt). Und sie sehen auch den Mehrwert für ihr Arles.
Auf einer ausführlichen Stadtwanderung bemerkten wir, mit wieviel Bewusstsein und Kostenaufwand das geschichtsträchtige Arles erhalten wird. Die Gassen bleiben eng, manche Häuser sind etwas mitgenommen vom Zahn der Zeit. Inzwischen werden Häuser aufgekauft und renoviert und stehen v.a. den Parisern als ‘pied-à-terre’ zur Verfügung (mit dem TGV in 3 Std. erreichbar). Und natürlich passiert dasselbe wie an vielen anderen Orten (auch bei uns in der Schweiz, z.B. Engadin!): die Preise explodieren und der Wohnraum für die Einheimischen wird enger und damit auch unerschwinglich. Die Epicerien und kleinen Gewerbebetriebe verschwinden. Galerien und Boutiquen ziehen in die verlassenen Gebäude ein. Es gibt jedoch immer noch traditionelle Bars und Bistros und auch Spitzenköche zeigen ihr Können. Wir hatten die Gelegenheit für eine Cafépause im legendären Hotelrestaurant Arlatan von Maja Hoffmann einzukehren. Das war eine inspirierende Kaffeepause!
Z’mittag gabs im ‘le Réfectoire’ (LUMA-Areal), vielleicht nicht so glamourös wie das Arlatan, aber sehr fein und speziell.
Bas Smets, der Landschaftsarchitekt vom LUMA, hat den Park und die Gärten als eine Reise durch die Region konzipiert. Was für ein Gegensatz zum dominanten, glänzenden Turm von Gehry! Schön angelegte Wege, ein Teich, noch blüht nicht alles, aber später im Jahr wird sich die Anlage in ein Kräuterduftmeer wandeln. Zauberhaft! Mittendrin die teilweise wiederbelebten Fabrikgebäude (Ateliers, Ausstellungen u.a.m.).
Ob mir der Turm gefällt? Zuerst noch etwas skeptisch habe ich anschliessend an die Führung und im Wissen um die Hintergrundgeschichte meine Skepsis abgelegt, und ich betrachte diesen Turm mit einer erweiterten Sichtweise.
Am Nachmittag spazierten wir durch die naheliegende antike Nekropole, die Alyscamps. Für van Gogh und Gauguin diente diese als Motiv und führte zu künstlerisch heftigen Diskussionen zwischen den beiden. Ich jedoch empfand diesen Spaziergang unter der Baumallee zur Kapelle als sehr wohltuend. Und ebenso die Kunstwerke der temporären Ausstellung des koreanischen Künstlers Lee Ufan. ‘Requiem’ nennt er die Abfolge seiner Werke. Teilweise verspielt, aber auch massive Stein-Felsbrocken sehr stimmig platziert.
Am nächsten Tag eine ausführliche Führung durchs historische Arles und einer Begegnung mit Vincent van Gogh, der hier seinen Traum vom Atelier des Südens zusammen mit Paul Gauguin verwirklichen wollte. Mit über 300 Werken war sein Aufenthalt eine leidenschaftliche und eine seiner produktivsten Schaffensperioden.
Eine Fahrt durch die bezaubernde Landschaft bringt uns zur archäologischen Grabungsstätte GLANUM und anschliessend zur Abtei Saint-Paul-de-Mausole. Im Sanatorium des Klosters wurde van Gogh ein Jahr lang psychiatrisch behandelt; die Umgebung präsentiert sich wie zu seiner Zeit.
Das Abendessen genossen wir im Restaurant LE GABOULET. Wunderbar! Anschliessend ergab sich an unserem 6-er Tisch eine Art philosophisches Gespräch über Dankbarkeit ... berührende Momente. Auch bei Gruppenreisen finden sich immer wieder Menschen zusammen, die sich für eine Weile nahe fühlen.
Am Mittwoch Köfferli packen und Fahrt nach Marseille. Vorher kurzer, aber lohnender Abstecher zur ehemaligen Abteikirche Saint-Gilles mit ihrer imposanten Schaufassade.
In Marseille zeigte uns die Stadtführerin Laurianne auf einer Panoramarundfahrt ihre Stadt. Die Nachteile der fehlenden öffentlichen Verkehrsmittel waren auf dieser Stadtfahrt offensichtlich.
Am Donnerstag führte uns Laurianne auf einen Streifzug durch ’Le Panier’, der Wiege von Marseille. Das Altstadtviertel auf dem Hügel hinter dem alten Hafen ist der älteste besiedelte Ort der Hafenmetropole, der von den Griechen gegründeten Kolonie Massalia. Ein Viertel im Umbruch, gleich hinter unserem Hotel beginnend. Ein Juwel, wo Armut auf Avantgarde trifft; Strassenecken voller Sperrmüll, lauschige Plätze, Gassen voller Grün, eine Atmosphäre wie in einem provenzalischen Dorf. Wir haben zu zweit das Viertel gleich mehrmals besucht oder durchquert. Und am Abreisetag gabs für uns in einem der kleinen Bistros noch ein letztes Glas und etwas Kleines zum Essen.
Am Nachmittag wurden wir per Taxi zur ‘Cité Radieuse’ de Marseille gefahren.
Die ‘Unités d’Habitation’ sollten nach dem zweiten Weltkrieg den Wohnungsmangel lindern. Der Bau von Le Corbusier wurde ab 1947 erbaut und 1952 eröffnet. Wir hatten die Gelegenheit, eine Wohnung (im Urzustand) zu besichtigen. Absolut genial! Für damalige Verhältnisse luxuriös und v.a. klug auf kleinstem Raume konzipiert. Heute sind diese Wohnungen sehr begehrt, dies obwohl kaum etwas daran geändert werden darf.
Einmal mehr hat uns Frau Mäder überrascht: Z’mittag genossen wir im inne liegenden Gourmet-Restaurant ‘le Ventre de l’Architecte’. Sehr, sehr speziell, Ort und Essen! www.citeradieuse-marseille.com.
Freitagmorgen stand das MuCEM (Musée des Civilisations de l’Europe et de la Méditerranée) auf dem Programm. Es gilt als Kronjuwel unter den hiesigen Museen. Das Gebäude bereits von aussen ein Wunderwerk. Die filigranen Betongeflechte, die den Bau ummanteln, sind einfach zauberhaft. Der algerisch-französische Architekt Rudy Ricciotti hat das Museum in die aus dem 12. Jahrhundert stammenden Festung Saint-Jean integriert.
Die Führerin hat uns die Geschichte der Entstehung, bzw. Zusammenarbeit der mediterranen Städte nähergebracht. Einigkeit, ‘Unité’ war eines von ihr am häufigsten verwendeten Begriffe ... und diese Einigkeit sollte auch heute noch oder immer wieder gelebt werden, meinte sie.
Über einen 115 m langen, freitragenden Steg ist die alte Festung mit den (Kräuter-) Gärten erreichbar, dazu ein grandioser Blick über den alten Hafen. www.mucem.org
Am Nachmittag noch eine richtige Seefahrt der Küste entlang. Die ‘Calanques’: ‘Calanco’ nennt sich der Abschnitt zwischen Marseille und Cassis. Beeindruckende Klippen aus Kalkgestein, kleine Buchten und hie und da der Blick auf verwegene Kletterer oder hoch oben Wandernde. Wir planten einmal vor Jahren die Calanques zu Fuss zu durchqueren. Jetzt habe ich die Calanques vom Schiff aus gesehen und ja, es ist dies keine Wanderroute mehr für mich...
Nach etwa drei Stunden auf See, mit Wellengang und steifer Brise, durften wir in Marseille wieder sicheren Boden betreten. À propos Sicherheit: Viel hört man ja von der Kriminalität in dieser Hafenstadt. Marseille war 2013 Kulturhauptstadt und hat enorm viel investiert, v.a. im ganzen Hafengebiet. Für mich ist dieses Marseille, das ich erlebt habe, einfach genial. Die Stadt lebt, ist laut, sehr laut, es gibt enorm viel zu besichtigen und zu erleben. Es ist ein Völkergemisch, unter das sich auch all die Touristen mischen. Natürlich heisst es achtsam sein, wie in jeder Stadt, aber wir bewegten uns auch zu zweit sicher und genossen einfach diese ganz spezielle Atmosphäre: das Geschrei, bzw. die Spielereien der Kinder, das Gezeter der HändlerInnen, der Duft der weiten Welt....
Ja - Marseille ist für mich genial und es gäbe noch vieles, das es zu besichtigen gäbe.
Und noch etwas, das anzuschauen sich lohnt: Die ‘Maison Empereur’, eine ‘Quincaillerie’ in musealer Einrichtung. Auf drei Stockwerken, auf verschiedenste Räume verteilt, findet man alles, was man braucht oder auch nicht braucht für den Haushalt und die Werkstatt. Besichtigung absolut lohnenswert! www.empereur.fr
Am letzten Abend führte uns Frau Maeder zum Znacht ins ‘Les Arcenaux’, eine Marseiller Institution, Restaurant in der Buchhandlung...
Es war alles in allem eine dichte Reise und es braucht bestimmt eine gewisse Zeit, um all dieses ganze Arles- und Marseille-Menu zu verdauen.
Es war einfach grandios. Alles perfekt organisiert, umsorgend begleitet, viele Höhepunkte und vieles, was für Alleinreisende nicht oder nur schwer möglich ist zu entdecken.