Reisebericht vom 13. bis 15. September 2024
Ein komfortabler Reisebus wartete pünktlich am Busparkplatz in Zürich, bereit für eine fröhliche Reisegruppe, die sich unter anderem mit 12 Artischocken auf den Weg machte, um im Engadin den Spuren von Segantini, Giacometti und Varlin zu folgen.
Der erste Halt war Savognin, wo Giovanni Segantini acht Jahre mit seiner Familie lebte. Oberhalb von Savognin liegt das Dorf Riom, in dem das markante Haus Sontga Crousch am nördlichen Dorfrand steht. Es wurde kurz nach dem Dorfbrand von 1867 von Lurintg Maria Carisch erbaut, der als wohlhabender Mann aus Paris in seine Heimat zurückkehrte. 1930 wurde das Anwesen an die Schwestern von Menzingen verkauft. Seit 2011 gehört es der Stiftung Nova Fundaziun Origen, deren Ziel es ist, die historischen Gebäude zu erhalten und wiederzubeleben.
Im Zentrum dieser Bemühungen steht der Theatermann Giovanni Netzer, der 2006 das Origen Festival Cultural in Riom gründete und es bis heute leitet. Ausstellungsräume, Probesäle, Werkstätten und die Verwaltung sind hier unter einem Dach vereint. Mit den Theaterräumen in der Clavadeira (einem ehemaligen Stall) verfügt das Festival zudem über eine ganzjährig nutzbare Infrastruktur.
Nach einem köstlichen Mittagessen im Restaurant Taratsch ging die Reise weiter nach Mulegns, wo mit dem Weissen Turm ein neues Wahrzeichen entsteht. Dieser komplett digital gedruckte Turm soll die Geschichte der Bündner Zuckerbäcker neu interpretieren und als Veranstaltungsort für kleine Events dienen. Die Abteilung für digitale Bautechnologie der ETH Zürich arbeitet an der Konstruktion des Weissen Turms für Mulegns. Schicht für Schicht wächst der futuristische Bau – präzise Arbeit, ausgeführt von Robotern. Der Weisse Turm ist das zweite kulturelle und architektonische Projekt der Stiftung Nova Fundaziun Origen am Julierpass, nach dem Roten Turm. Die Fertigstellung des Weissen Turms ist für 2025 geplant.
Mitten in Mulegns befinden sich unübersehbar das Post Hotel Löwe und die «Weisse Villa». Diese beiden Gebäude sind Denkmäler einer längst vergangenen Zeit der Zuckerbäcker und Postkutschen. Noch heute schlängelt sich täglich eine endlose Blechlawine durch das Dorf, da alle Fahrzeuge die engste Stelle der Julierstraße im Dorfkern passieren müssen. Immer wieder stießen Autos gegen die Fassade der Weissen Villa. Im August 2020 wurde das denkmalgeschützte Gebäude, das einst dem Zuckerbäcker Jean Jegher gehörte, um mehrere Meter verschoben. Dafür wurde das Fundament durchtrennt, die Villa auf Stelzen gestellt, verschoben und am neuen Standort erneut verankert.
Auch das Post Hotel Löwe erstrahlt in neuem Glanz, nachdem die öffentlichen Innenräume aufgefrischt wurden. Der Textildesigner Martin Leuthold setzte sich intensiv mit der historischen Innenausstattung auseinander und sammelte Möbel, Textilien, Lampenschirme und andere Zeitzeugen der Belle Époque. Basierend auf diesen alten Schätzen entwarf er neue Tapeten und restaurierte gepolsterte Lehnstühle und Sofas. Zusätzlich entschied er sich, das vorhandene Mobiliar durch moderne Sessel und Tische zu ergänzen. Das Ergebnis ist ein spannender Kontrast aus Alt und Neu, der für eine außergewöhnliche Atmosphäre sorgt.
Nach diesem aufregenden Eröffnungstag ging es weiter in unser Hotel Maloja Kulm, wo wir den Tag bei einem köstlichen Abendessen und in gemütlicher Runde ausklingen liessen.
Tag 2: St. Moritz und Maloja
Nach einem reichhaltigen Frühstück startete die Gruppe von über 30 Personen ihre Tour und besuchte zunächst das Giovanni Segantini-Museum in St. Moritz, das bereits neun Jahre nach dem Tod des Künstlers eingeweiht wurde und als Zeichen der hohen Wertschätzung für ihn gilt. Wir nahmen an einer geführten Besichtigung der Dauer- sowie der Sonderausstellung teil und waren tief beeindruckt von den Werken und Plänen Segantinis. Im Alter von 41 Jahren verstarb Segantini am 28. September 1899 überraschend an einer Bauchfellentzündung auf dem Schafberg hoch über Pontresina, während er am Mittelbild seines Alpentriptychons arbeitete. Seine Bilder zählten zu den teuersten ihrer Zeit.
Anschliessend erkundeten wir eigenständig «das kleine Dorf mit dem grossen Namen». Für den Jet-Set dieser Welt ist ein Aufenthalt in St. Moritz das absolute Muss. Die Architektur ist äusserst vielfältig: vom ehrwürdigen, scraffito-verzierten Engadiner-Haus zum modernen, an ein Raumschiff erinnerndes Gebäude des englischen Architekten Sir Norman Forster.
Am Nachmittag erwartete uns ein ganz besonderes Vergnügen. Zunächst besuchten wir das ehemalige Atelier von Giovanni Segantini, bevor wir gemeinsam mit dem Kultur- und Literaturwissenschaftler Joachim Jung den Friedhof in Maloja und das Grab der Familie Segantini aufsuchten. Als besonderes Highlight kamen wir in den Genuss eines Vortrags in der Offenen Kirche in Sils. Mit Fachwissen und Humor gewährte uns Joachim Jung spannende Einblicke in das Leben und Schaffen des Philosophen sowie in die Ausstellung im Nietzsche-Haus, das wir im Anschluss noch kurz besichtigen konnten.
Es war ein Tag voller faszinierender und inspirierender Kunst, den wir bei einem weiteren wunderbaren Abendessen im Maloja Kulm Hotel Revue passieren liessen.
Tag 3: Borgonovo und Stampa
Der letzte Tag war ganz der Künstlerfamilie Giacometti und dem Künstler Varlin gewidmet. Nach einem weiteren köstlichen Frühstück hieß es Abschied nehmen von unserem wunderbaren Hotel Maloja Kulm. Am frühen Morgen brachte uns der Bus zunächst zum Friedhof St. Giorgio in Borgonovo, wo uns Dr. Marco Giacometti, ein Enkel von Sina Dolfi-Giacometti, empfing. Er erzählte uns ausführlich über die Familiengeschichte der bedeutenden Giacometti-Familie, während wir an ihren Gräbern verweilten.
Anschließend ging es weiter nach Stampa, wo wir das Giacometti-Zentrum und das Atelier von Giovanni Giacometti besuchten, das nach seinem Tod von seinem Sohn Alberto übernommen wurde. Wohlgemerkt von dem Alberto Giacometti, dem berühmtesten Mitglied der Giacometti-Familie. Mit seinen extrem langen, schlanken Skulpturen, gehört er zu den bedeutendsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts.
Die letzten Stunden dieser inspirierenden Reise widmeten wir dem Künstler Varlin (Willy Guggenheim). Wir besuchten die Ciäsa Grande und genossen eine besondere Führung durch die Ausstellung, die von seiner Enkelin geleitet wurde.
Bei seinen Zeitgenossen galt Willy Guggenheim als Sonderling. Er ehrte mit seinem Künstlernamen Varlin einen Anarchisten und Revolutionär und gefiel sich gut in dieser Rolle. Alles Zeitgemäße war ihm fremd, er ging mit Absicht die ungeraden Wege und mied bewusst jede Form der Anpassung.
Nach seiner Ausbildung in St. Gallen und Berlin zog er nach Paris, wo er vom Kunsthändler Leopold Zborowski gefördert wurde. Nach Zborowskis Tod kehrte er nach Zürich zurück, wo er sich langsam etablierte. Erst in den 1950er-Jahren erreichte er größere Anerkennung, unter anderem durch seine Teilnahme an der Biennale von Venedig. In seinen späten Jahren fand er privates Glück und zog ins Bergell, wo er 1977 verstarb.
Für das Mittagessen hatte sich die Reiseleiterin Anna Maeder einen ganz besonderen Ort ausgesucht: Wir speisten im etwa 150 Jahre alten Hotel Bregaglia in Promontogno.
Danach neigte sich die wunderbare Reise leider dem Ende zu, und auch Anna Maeders Zeit als Reiseleiterin wird wohl bald enden. Wir danken ihr herzlich für diese wundervollen Tage im Engadin und Bergell. Ihr Fachwissen, ihre Hilfsbereitschaft und ihr großes Organisationstalent sind einzigartig. Wir werden sie sehr vermissen.